Ödipus Stadt
ÖDIPUS STADT
Schauspiel von John von Düffel nach Sophokles, Euripides und Aischylos
Theater St Gallen, Premiere 28. Mai 2014
Unwissentlich erschlägt Ödipus den eigenen Vater und zeugt mit seiner Mutter vier Kinder. Seine rivalisierenden Söhne Eteokles und Polyneikes töten sich gegenseitig. Auch zwischen seinen Töchtern Antigone und Ismene herrscht Zwietracht. Als Ödipus die Tragik seiner Existenz erkennt, blendet er sich und überlässt die Herrschaft Kreon. Dieser will Staat und Privates trennen und führt mit unnachgiebiger Haltung die Familie endgültig ins Verderben. Am Ende ist Ödipus Stadt dem Untergang geweiht: Theben wird der Rebellion nicht standhalten können.
Der Dramaturg und Autor John von Düffel hat in Ödipus Stadt vier Königsdramen der grossen antiken Tragöden zu einer packenden Familienchronik zusammengeführt. Das ist so gewitzt wie naheliegend. Denn alle vier Stücke – König Ödipus und Antigone von Sophokles, Sieben gegen Theben von Aischylos und Die Phönizierinnen von Euripides – nehmen sich eines Themas an: es sind Modifikationen und Erweiterungen des schon vor 2500 Jahren als Mythos bekannten Schicksals des Labdakidengeschlechts der Stadt Theben um Königs Ödipus und seiner Nachkommen. Düffel streicht die Chorpartien der einzelnen Stücke und setzt die Teile der Tragödien „chronologisch“ so aneinander, dass sich der Untergang einer ganzen Herrscherfamilie abzeichnet, die über mehrere Generationen vergeblich darum ringt, ihren mit Fluch belegten Schicksalsprophezeiungen zu entrinnen und sich grade dadurch selbst vernichtet.
Im ersten Teil des Abends ist es zuerst König Ödipus, der erkennen muss, dass sich sein prophezeites Schicksal (das Orakel hatte geweissagt, er werde einmal seinen Vater töten und mit seiner Mutter schlafen), dem er durch Flucht entgehen wollte, längst erfüllt hat: Da die Stadt Theben von der Pest heimgesucht ist, bittet er den Seher Teiresias um Auskunft darüber, wodurch man sich die Ungunst der Götter erworben haben könnte. Der Seher enthüllt, dass der Tod des Laois gesühnt werden müsse, um die Stadt vom Elend zu befreien. Daraufhin kündigt Ödipus eine lückenlose Aufklärung des Attentats an, an dessen Ende er selbst als Mörder des Laois aufgedeckt wird und sich gewahr wird, dass er mit Laios seinen wirklichen Vater erschlagen und mit Iokaste nicht nur die verwitwete Königin sondern seine eigene Mutter geheiratet hat. Ödipus blendet sich aus Verzweiflung.
Im zweiten Teil sind es Ödipus‘ Söhne (und tragischerweise auch Brüder), die aus Machtgier ihren Vater ins Verliess sperren und im Zwist um die Thronfolge und Herrschaft in Theben konkurrieren. Eteokles und Polyneikes lassen sich in ihrem Rasen auch von von Iokaste nicht beschwichtigen. Sie töten sich gegenseitig im Zweikampf, Iokaste daraufhin sich selbst.
Damit ist die direkte Herrschaftslinie des Hauses Ödipus ausgelöscht, die Töchter Antigone und Ismene sind die letzten Überlebenden des Erbfluchs und Kreon, Antigones Onkel mütterlicherseits nun der neue Herrscher in Theben. Doch selbst der bisher vernunftgeleitete und diplomatisch agierende Mann will als regierender Politiker seine vermeintliche Schwäche durch Überhärte und stringentes Durchgreifen wett machen, während Antigone hartnäckig um die Erhaltung familiärer Traditionen kämpft. Einzig Ismene erkennt, dass das Unglück so kein Ende nimmt. „Du willst das Leid, das unser Erbe ist,/ Noch übertreffen und dich an seine Spitze stellen.“ Aber die Stimme Ismenes verhallt im Nichts. Ödipus Stadt ist die verhängnisvolle Geschichte einer Herrscherfamilie, in der Gewalt Gewalt gebiert, Macht Gegenmacht herausfordert, Stolz zu Unnachgiebigkeit führt und deren Hang zum Eigenwillen jene Gesellschaft in den Abgrund ziehen, für deren Erhalt sie angetreten sind waren.
Inszenierung: Katja Langenbach
Bühne: Hella Prokoph
Kostüme: Petra Winterer
Musik: Roderik Vanderstraeten
Licht: Andreas Enzler
Dramaturgie: Nina Stazol
Ödipus: Oliver Losehand
Kreon: Marcus Schäfer
Teiresias: Christian Hettkamp
Iokaste: Silvia Rhode
Eteokles/Boten: Sven Gey
Polyneikes/Wächter: Julian Sigl
Antigone: Danielle Green
Ismene/Hirte: Wendy Michelle Güntensperger
Menoikus/Haimon: Luzian Hirzel
Ödipus Stadt from theatersg on Vimeo.